2020 jährt sich die deutsche Wiedervereinigung bereits zum 30. Mal. Das Jubiläum soll als Anlass dienen, die Entwicklung des politischen Systems Deutschlands seit der Wiedervereinigung zu analysieren. Ziel ist eine differenzierte Bilanz der Kontinuitäten und des Wandels des deutschen Regierungssystems in den letzten 30 Jahren.
In den 1990er Jahren lag der Fokus der Forschung zunächst auf dem Institutionentransfer von West nach Ost und auf den Anpassungsprozessen Ostdeutschlands an das politische System der alten Bundesrepublik. Dabei war in der Transformationsforschung zunächst die Erwartung weit verbreitet, es würde nach der Wiedervereinigung zu einer schnellen Konvergenz zwischen Ost- und Westdeutschland kommen. Zugleich wies allerdings die Politische-Kultur-Forschung auf bestehende Differenzen in den Orientierungen und Wertvorstellungen von Ost- und Westdeutschen hin. Zunehmend rückten dann auch Persistenz und Divergenz einerseits sowie von Ostdeutschland ausgehende Strukturanpassungen andererseits, beispielsweise die Einführung direktdemokratischer Verfahren in die Regierungssysteme der Länder, in den Fokus der Forschung. Somit erlebte das vereinte Deutschland insgesamt eine „Co-Transformation“, in der vereinigungsbedingte Veränderungen deutschlandweit spürbar sind. Dabei ist dieser nationale Transformationsprozess zugleich mit der zunehmenden Europäisierung und Globalisierung verschränkt.
Das Seminar möchte 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung eine Zwischenbilanz der institutionellen und politisch-kulturellen Anpassungsprozesse in Hinblick auf das politische System Deutschlands ziehen. Dieser Fokus erhält seine Relevanz auch durch die sich aktuell wieder verstärkenden öffentlichen Debatten über anhaltende Ost-West-Unterschiede, etwa in Bezug auf ökonomische Leistungsfähigkeit, Lebensverhältnisse, politische Einstellungen, die Entwicklung der Parteiensysteme und die Unterrepräsentanz Ostdeutscher in der gesamtdeutschen Elite.
Um eine differenzierte Zwischenbilanz zu ermöglichen, werden im Seminar alle Ebenen des gesamtdeutschen politischen Systems in die Betrachtung einbezogen und Veränderungs- sowie Anpassungsprozesse aber auch Beständigkeit mit Blick auf die unterschiedlichen Dimensionen des Politikbegriffs untersucht. Dies beinhaltet Analysen zum Wandel des politischen Systems insgesamt sowie in den Bundesländern und zur Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung. Dies umfasst Beiträge, die Wandel und Anpassung bzw. Persistenz aus der Perspektive zentraler Institutionen, wichtiger Akteure und Organisationen, oder auch aus der Perspektive einzelner Politikfelder analysieren sowie Beiträge, die eine Makroperspektive einnehmen: Wie hat sich die Demokratie in Gesamtdeutschland entwickelt und inwieweit sind entsprechende Entwicklungen auf den Prozess der innerdeutschen Integration zurückzuführen? |