Kommentar |
„Das kann man nicht erzählen. Das übersteigt jede mögliche Darstellung”, formuliert einer der Zeugen im Film. „Darüber darf man nicht reden”, konstatiert ein anderer. 1985 brachte der Regisseur Claude Lanzmann mit der Cutterin Ziva Postec sein neunstündiges Filmwerk „Shoah” zum Abschluss und in die Kinos – nach zwölf Jahren Recherche und fünf Jahren Montagearbeit an über 300 Stunden Filmaufnahmen, vor allem Interviews mit Augen- und Ohrenzeugen der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Sicht- und hörbar werden Akteure mit höchst unterschiedlichen Perspektiven und Haltungen: verfolgte und widerständige Jüdinnen und Juden, deutsche Täter, polnische Kompliz:innen und warnende Zeug:innen des Massenmords. Lanzmann hat auf historisches Filmmaterial resolut verzichtet, jedoch die historischen Tatorte in Polen mit der Kamera erkundet.
Ein Dokumentarfilm, der das „Undarstellbare” doch vor Augen führt? Ein unantastbares Kunstwerk? „Shoah” wurde 1985 international sehr kontrovers wahrgenommen. Bis heute wird der Film von Geschichts-, Film- und Literaturwissenschaftler:innen unterschiedlich verstanden. Das Hauptseminar unternimmt eine kulturhistorische Würdigung, die Lanzmanns eigene Deutung auch in Frage stellt. Dafür nutzen wir u.a. die ungenutzten Archivaufnahmen aus der Drehphase („outtakes”), um die deutenden Montagestrategien des Regisseurs besser zu verstehen. Es werden grundlegende erkenntnistheoretische, ethische und ästhetische Fragen diskutiert zur angemessenen Darstellung und Erklärung dieses präzedenzlosen Verbrechens, zur Konstruktion von Zeugenschaft und zum Verhältnis von Ort und Wort und von Ton und Bild für historische Erkenntnis.
Bitte beachten: Die erste gemeinsame Sichtung des Films mit Nachgesprächen ist obligatorisch und erfolgt am Freitag, den 14.4., 16.00 bis 21.30 Uhr und am Samstag, den 15.4., 14.00 bis 19.30 Uhr: Carl-Zeiss-Straße 3, Hörsaal 7. |
Literatur |
Literatur: Claude Lanzmann, Shoah. Mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir, Düsseldorf 1986; Claude Lanzmann’s Shoah. Key Essays, ed. by Stuart Liebman, Oxford and New York 2007; Claude Lanzmann, Der patagonische Hase. Erinnerungen, Reinbek bei Hamburg 2010; Jennifer Cazenave, An Archive of the Catastrophe: The Unused Footage of Claude Lanzmann's Shoah, Albany 2019; Construction of Testimony: Claude Lanzmann’s Shoah and Its Outtakes, edited by Erin McGlothlin, Brad Prager, and Markus Zisselsberger, Detroit 2020; Sue Vice, Claude Lanzmann´s SHOAH Outtakes. Holocaust Rescue and Resistance, Bloomsbury 2021. |