Kommentar |
David Hume betrachtete seine Untersuchung über die Prinzipien der Moral (zuerst 1751, wenige Jahre später erstmals ins Deutsche übersetzt) als sein mit Abstand bestes Buch. Er war sich sicher, die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Moral gefunden zu haben. Seine Kurzantwort lautet: Moralisch gut ist das, was wir als uns selbst oder anderen als nützlich ansehen - letztlich aber das, was uns selbst oder anderen gefällt. Zugleich trägt Hume eine Kritik der Theorien vor, dass menschliches Handeln letztlich auf Egoismus beruhe. Er versucht also einen Standpunkt der Menschlichkeit, wodurch wir die verengte Perspektive des Egoismus oder der Nahbeziehungen überwinden können als Quelle der Moral nachzuweisen.
Das Seminar wird Humes Text schrittweise diskutieren und prüfen, wie sich eine solche Auffassung zu einer kantischen Theorie verhält, nach der Moral nur auf der Vernunft beruhen kann.
FSU Jena, Sommer 2024 Humes Ethik, Dr. Kienzler: Semesterübersicht
Untersuchung über die Prinzipien der Moral (nach Abschnitten, einige haben 2 Teile)
1 Ja, es gibt moralische Unterschiede, denn nicht alles was geschieht ist gleich wertvoll – und niemand kann das wirklich leugnen ohne zu lügen oder sich selbst zu betrügen. Und: Um dies klar zu sehen braucht man erstens etwas Vernunft und Übersicht – vor allem aber ein Gefühl, das Lust oder Schmerz empfindet und Zustimmung oder Ablehnung äußert.
2 Ein guter Ausgangspunkt: Das Gefühl des Wohlwollens wird immer und überall geschätzt. (Teil 1) Und zumindest ein Teil davon stammt aus der Nützlichkeit, mit der Wohlwollen einhergeht. (Teil 2)
3 Die Gerechtigkeit bzw. das Rechtsgefühl (justice) wird vor allem wegen seiner Nützlichkeit gelobt. (Tel 1) Und zwar beruht dies ganz und gar auf der Nützlichkeit – sobald ein Gesetz unnütz wird, wird es nämlich vernünftigerweise geändert. (Teil 2)
4 Auch politische Einrichtungen und Gesetze gibt es nur weil und solange sie nützlich sind.
5 Aber warum gefällt uns (allen) die Nützlichkeit – und zwar auch dann, wenn sie uns selbst nicht betrifft? – Weil wir ein gewisses positives Gefühl gegenüber der Nützlichkeit selbst haben, auch wenn es Menschen betrifft, die zu uns in keinerlei Beziehung stehen. Das gilt selbst für erfundene Personen in Geschichten. (Teil 1) Die Selbstliebe ist eben nicht alles – denn es gibt viele Beispiel, in denen wir nur aus einem Gefühl von Humanität heraus etwas loben, und sogar praktisch unterstützen. Es gibt Egoismus (das ist nicht zu leugnen), aber es gibt eben auch ein Gefühl der Humanität, dass einen weiteren Horizont hat.
6 Beispiel 1: Wir bejahen es grundsätzlich, wenn Menschen gut selbst klarkommen – egal wer es eigentlich ist. (Teil 1) Und das gilt sogar für solche Äußerlichkeiten wie Körperstärke, Schönheit und Eigentum. (Teil 2)
7 Beispiel 2: Wir bejahen es außerdem, wenn Menschen an sich angenehm sind, also uns einen guten Eindruck machen, z.B. weil sie selbst edel (und vielleicht gar nicht so nützlich dabei) sind (und weil wir gerne von ihnen lesen)
8 Beispiel 3: Wir bejahen außerdem Höflichkeit, Witz, Bescheidenheit, wenn Menschen auf andere bezogen angenehm wirken – das finden wir (wenn wir es wahrnehmen) angenehm.
9 Schluss: Zusammengefasst ist ein Mensch moralisch positiv bewertet, wenn: Man A) gerecht fair und wohlwollend ist, B) klug, effektiv und erfolgreich, C) angenehm in Gesellschaft und D) edel an sich selbst. – Ehrgeiz und Selbstliebe sind für den Zweck der Moral ganz unwichtig, denn die Humanität ist das, was uns Menschen gemeinsam ist, mein Egoismus und mein Ehrgeiz betrifft dagegen nur mich selbst. (Teil 1) Die Tugend, die wir so beschrieben haben, ist nichts, das uns als Opfer auferlegt wird, sondern es ist zugleich die klügste Art zu leben und glücklich zu leben. Moralisch leben ist daher die beste Chance, um in diesem leben auch glücklich zu werden. (Teil 2)
Anhang 1 Beruht die Moral wirklich auf dem Gefühl? Nun, die Vernunft kann uns zeigen, wie die Dinge zusammenhängen, aber erst das Gefühl kann dann eine Bewertung aussprechen.
Anhang 2 Ist nicht alles letztlich doch Egoismus, wenn man es realistisch betrachtet? Nein, denn die Theorie, dass alles letztlich auf dem Egoismus beruht, ist deswegen falsch, weil wir Menschen eine Menge starker Gefühle haben – und das Gefühl der Egoismus gibt es zwar auch, aber es beherrscht nicht alles. Manchmal schaden wir uns selbst, wenn wir Rache nehmen wollen – oder wir stellen unseren eigenen Vorteil zurück, weil wir jemandem helfen möchten, den wir schätzen oder lieben.
Anhang 3 Die Gerechtigkeit hat es typischerweise mit einem Gesamtsystem zu tun, in dem nicht alle Einzelheiten positiv bewertet werden können und müssen. Moral im engeren Sinn betrifft dagegen den Einzelfall.
Anhang 4 Das, was wir loben, müssen nicht nur Eigenschaften sein, die man freiwillig hat oder nicht hat – man kann auch Gaben, die jemand hat, loben – auch wenn sie nicht im engeren Sinn „moralisch“ sind, weil die Person ja nichts dafür kann, so begabt zu sein. (Hume fasst den Bereich des Lobenswerten hier relativ weit.)
Ein Dialog
Die Verschiedenheit der Sitten kann uns schockieren, aber wenn wir den Zusammenhang der jeweiligen Kultur berücksichtigen, dann erkennen wir, dass die Motivation, etwas zu loben oder zu tadeln, letztlich auf die Übereinstimmung und Einheit der grundlegenden Moralvorstellungen und Gefühle verweist. (Hume vertritt trotz seines empiristischen Ansatzes, der alle Daten mit berücksichtigen muss, eine universalistische Moralkonzeption.)
Nachbemerkung: Im frühen Treatise erklärt Hume, dass die Moral nicht auf Tatsachen beruht und darum nicht von der Vernunft erkannt werden kann (1. Teil); dass der Sinn für Rechtlichkeit, der Respekt für das Eigentum, die Verbindlichkeit von Versprechen, die staatsbürgerlichen Pflichten, das Völkerrecht und auch die gesellschaftlichen Auffassungen zur Sexualität nicht von Natur aus bestehen, sondern dass diese allein aufgrund ihres Nutzens für die Gesellschaft anerkannt werden (2. Teil); und das der Ursprung der natürlichen Tugend zum einen auf einem Gefühl der Sympathie beruht und zum anderen darauf, dass wir die Fähigkeit haben, unseren eigenen Standpunkt (zumindest teilweise) zu einem allgemeineren Standpunkt de Betrachtung zu erweitern. Wir versetzen uns in den Standpunkt derjenigen Menschen, die wir moralisch beurteilen und empfinden dann ein positives Gefühl, wenn jemand einen Charakter hat, der auf vierfache Weise positiv sein kann: Indem er der Person selbst oder anderen Menschen nützt, oder indem er als Person selbst oder in Bezug auf anderen Menschen angenehm ist (3. Teil, 1. Abschnitt). Aus diesen vier Quellen erklärt Hume dann anschließend (aufgrund seines „Systems“), warum wir verschiedene Eigenschaften loben oder tadeln: Stolz, Demut, Seelengröße, Güte, Wohlwollen – aber auch Eigenschaften, die üblicherweise nicht als moralisch angesehen werden: Fleiß, Ausdauer, Geduld, Mäßigkeit, Witz, Beredsamkeit – aber auch gutes Gedächtnis und körperliche Kraft und Schönheit und sogar Besitz (3. Teil, Abschnitt 2-6). In der Umarbeitung des Textes von 1740 zur Untersuchung über die Prinzipien der Moral (1751) vereinfacht Hume die Gedankenführung und versucht eine noch elementarere Erklärung der Moral zu geben. Häufig wird der spätere Text als philosophisch weniger gehaltvoll angesehen, aber Hume war der Meinung, dass sein Buch von 1751 von all seinen Büchern ohne jeden Zweifel das beste sei. Allein schon der abschließende Dialog, ein Gespräch über die Unterschiedlichkeit der moralische Auffassungen zu verschiedenen Zeiten und Kulturen, die nach Hume mit der Annahme einer allen Menschen gemeinsamen (gefühlten) Auffassung der Grundprinzipien der Moral durchaus vereinbar ist, geht entschieden über den Horizont der frühen Schrift hinaus, in der Hume seine Ansicht Schritt für Schritt wissenschaftlich beweisen will. Im einzelnen sind die Unterschiede beider Konzeptionen nicht so ganz einfach zu fassen. |