Kommentar |
Was bedeutet Fortschritt im gesellschaftlichen Zusammenleben? Worin bestehen die zentralen Probleme der Gegenwartsgesellschaft und welchen Beitragkann eine sozialwissenschaftliche Analyse zu ihrer Lösung leisten? Man sollte annehmen, dass die soziologische Theorie nach mehr als einem Jahrhundert intensiver Beschäftigung mit Modernisierungsprozessen und deren Krisen adäquate Antworten hierauf zu geben hätte. Zu den irritierenden Erkenntnissen des Soziologiestudiums gehört es indessen, dass nicht allein die Richtigkeit der Antworten, sondern auch die Angemessenheit von solchen Fragen offenbar umstritten ist.
Niklas Luhmann und Jürgen Habermas stehen mit ihren Beiträgen zur soziologischen Theorienentwicklung und Zeitdiagnose exemplarisch für Gegenpole der Debatte und haben die Gegenwartssoziologie wie nur wenige andere entscheidend mitgeprägt. Was ist die Gesellschaft? Wie können wir auf den gesellschaftlichen Wandel Einfluss nehmen? Kann und soll die Soziologie dabei auch kritisierend mitwirken – und falls ja: was wäre eigentlich zu kritisieren? Das Seminar versucht, Antworten auf diese Fragen in der Auseinandersetzung mit Luhmanns und Habermas‘ Werken zu finden. Deren Positionen, die sich in mancher Hinsicht und etwas polemisch auf den Gegensatz ‚Systeme oder Menschen‘ bringen ließen, können unmittelbar aufeinander bezogen werden, weil beide Autoren ihrerseits einen Wissenschaftsstreit eröffnet haben, dessen Aktualität in vielerlei Hinsicht noch immer gegeben ist.
Ziele des Seminars sind vor diesem Hintergrund der Erwerb von grundlegenden Kenntnissen über zwei zentrale soziologische Theorien der Gegenwart und ihre Zeitdiagnosen (Niklas Luhmanns Systemtheorie und Habermas‘ Theorie 'kommunikativen Handelns') sowie ein tieferes Verständnis disziplinärer soziologischer Grundprobleme (Individuum-Gesellschaft, Systemstruktur & Handlungssinn, Problem der Kritik usw.), die durch die Habermas-Luhmann-Kontroverse in pointierter Weise abgebildet werden. |