Kommentar |
Der Vaterkonflikt, den Franz Kafka in Das Urteil (1913) gestaltet, ist kein singuläres Phänomen in der Literatur jener Zeit, sondern Teil eines breiten – literarischen, psychologisch-anthropologischen und juristischen – Diskurses über Adoleszenz und Erziehung. Einerseits erodiert im frühen zwanzigsten Jahrhundert der Glaube an staatliche und väterliche Autoritäten; andererseits verändert sich der Blick auf Jugend und Familienstrukturen durch neue psychologische und sexualanthropologische Forschungen. Schul- und Familienprobleme, Schülerselbstmorde, das Erwachen der Sexualität und die Rebellion gegen die Väterwelt werden zu zentralen literarischen Themen schon zur Jahrhundertwende und verstärkt in der Zeit des Expressionismus. Im Seminar soll dieser Diskurs an kanonischen wie auch weniger bekannten Dramen und Erzählungen aus der Zeit zwischen 1890 und 1920 untersucht werden; etwa an Frank Wedekind, Frühlings Erwachen (1891), Rainer Maria Rilke: Die Turnstunde (1901), Emil Strauß: Freund Hein (1902), Hermann Hesse: Unterm Rad (1905), Ricarda Huch: Mao (1907), Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906), Walter Hasenclever: Der Sohn (1914), Arnolt Bronnen: Vatermord (1920). |