Gottlob Frege hat nicht nur Schriften zur Mathematik und Logik verfasst, durch die er heute als "Vater der analytischen Philosophie" gilt, sondern auch ein politisches Tagebuch geführt. Dessen Lektüre zeigt, dass Frege im Laufe der politischen Entwicklungen seiner Zeit (Deutschland nach dem ersten Weltkrieg) Sympathien für die Positionen der extremen politischen Rechte ausbildete.
Welches Gewicht und welche wissenschaftliche Relevanz kommt den Tagebucheintragungen in der philosophischen Beschäftigung mit Frege zu? Sind sie nicht vielleicht allein von biographischem Interesse?
Entscheiden sollte man diese Fragen allerdings erst, wenn man die entsprechenden Texte sorgfältig gelesen und sich über die darauf bezogene Diskussion informiert hat. Darüber hinaus sind die Äußerungen innerhalb der zeitgenössischen politischen Diskussion sowie innerhalb des Fregeschen Werkes zu kontextualisieren. In einer solchen Beschäftigung stellen sich dann aber durchaus eine ganze Reihe philosophischer Fragen. Sie sollen im Seminar verfolgt und vertieft werden sollen.
Es geht nicht um die auf die Person gerichtete Frage, ob Frege nun ein Antisemit oder gar ein "Vordenker des Nationalsozialismus" war. Vielmehr soll der "Fall Frege" ein Anlass sein, um sich über folgende Themen zu verständigen:
Wie könnte eine angemessene Rezeption von Freges philosophischem Werk unter Kenntnis seiner politischen und dabei antijüdischen Äußerungen angelegt sein? Zeigen sie uns etwas über das politische Selbstverständnis "der Philosophie" oder über eine von den gesellschaftlichen Umständen vorgeblich getrennte Theoriebildung?
In Bezug auf Freges Logik wäre auch zu fragen: Wie müssen wir das Verhältnis von logischer Vernunft und praktischer bzw. politischer Urteilskraft fassen? Inwieweit fehlt Freges Logik ein kritisches Instrumentarium des Denkens, sofern das von ihm so genannte "dritte Reich" keinen Begriff "praktischer Vernunft" einschließt? (Gabriel / Kienzler).
Im Seminar werden die Seiten, die immer wieder Anstoß zur Diskussion gegeben haben, intensiv gelesen und kontextualisiert.
In einem weiteren Schritt wird einschlägige Forschungsliteratur zum Thema herangezogen und schließlich können wir auch Jenaer Frege-Spezialistinnen zum Gespräch ins Seminar einladen und mit ihnen diskutieren.
Anlass für dieses Seminar ist eine Anfrage der GAP (Gesellschaft für Analytische Philosophie), ob ich im Rahmen eines entsprechenden Workshops einen Vortrag zum Thema halten könnte.
Ich möchte zusammen mit den Seminarteilnehmer:innen die Grundzüge für meine Stellungnahme entwickeln und diskutieren. Der geplante Workshop der GAP wird am 2. August 2024 in Bonn stattfinden (eine Teilnahme an dem Workshop bzw. dem Vortrag ist online möglich).
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